27

Im September, ungefähr einen Monat, bevor der Yukon River zufror und der Fluss zwischen dem White Pass und den Goldfeldern nur noch mit dem Hundeschlitten passierbar war, entschloss sich Dolly zu einem mutigen Schritt.

Clarissa hatte sie zum Friedhof begleitet und am Grab von Luke mit ihr gebetet, als sie unvermutet den Kopf hob und sagte: »Ich werde Skaguay verlassen, Clarissa. Ich gehe nach Dawson City, so wie Luke und ich es vorhatten. Ich bin es ihm schuldig. Ich habe keine Ahnung vom Goldsuchen und auch nicht die Absicht, in der Erde zu graben, aber es soll dort genug Arbeit geben, und ich war noch nie eine, die vor harter Arbeit zurückgeschreckt ist.«

»Dawson City?«, wiederholte Clarissa erstaunt. Sie hätte eher vermutet, dass ihre Freundin in die Staaten zurückfuhr. »Du willst über den Pass?«

Dolly blickte auf das Holzkreuz mit dem Namen ihres Mannes. Ihre Stimme klang fest und entschlossen. »Ich hab mich mit einigen Goldsuchern unterhalten, die schon mal am Klondike waren. Sie haben mir erzählt, wie anstrengend der Marsch ist, aber das wäre er mit Luke auch gewesen. Ich habe keine Angst. Zwei Männer, die ich im Restaurant kennengelernt habe, wollen mich mitnehmen. Gute und ehrliche Männer, dafür habe ich inzwischen ein Auge. Ich habe einiges Geld gespart und kann die Vorräte, die man dabeihaben muss, bezahlen. Und in Dawson City finde ich bestimmt Arbeit.« Sie schlug ein Kreuz und wandte sich zum Ausgang. »Warum kommst du nicht mit, Clarissa? Mit dem ständigen Warten machst du dich nur verrückt. Jedes Mal, wenn ein Schiff anlegt, läufst du zum Hafen runter und kommst niedergeschlagen zurück. Blick nach vorn, Clarissa … Mach dich nicht verrückt!«

Clarissa ahnte, was Dolly ihr eigentlich damit sagen wollte. Finde dich endlich damit ab, dass dein Mann nicht nachkommen wird, und fange ein neues Leben an! Das dachten auch alle anderen, die sie kannten. Die Chancen, dass Alex noch lebte, waren gering, und sie würde irgendwann einmal den Verstand verlieren, wenn sie sich weiterhin zum Narren machte und jedes Mal, wenn ein Schiff anlegte, mit verweinten Augen an der Anlegestelle stand. Die Leute redeten bereits über sie und zeigten mit den Fingern auf sie: Da steht sie, die Arme, sie hofft immer noch, dass ihr Mann zurückkehrt, dabei ist er längst tot. Schlimm, wenn man sich nicht lösen kann. Wenn sie so weitermacht, landet sie noch in der Klapsmühle. So eine hübsche Frau, die würde doch sofort einen anderen finden. Männer gibt es hier doch wahrlich genug.

»Ich bleibe hier«, sagte sie dennoch. »Ich weiß, was du denkst, und ich kann mir vorstellen, was die Leute über mich reden, aber so weit bin ich noch nicht.« Sie kehrten gemeinsam zur Straße zurück und stiegen auf den Gehsteig vor einem neuen Gemischtwarenladen. »Du kennst Alex nicht. Er ist ein ganz besonderer Mann. Er hat fast sein ganzes Leben in der Wildnis verbracht und spürt eine drohende Gefahr, schon bevor sie im Anmarsch ist. Einer wie er lässt sich nicht die Stiefel wegnehmen und ins Meer werfen, und wenn er tatsächlich in eine Zwangslage gerät, findet er auch wieder heraus. Ich würde doch spüren, wenn er tot ist. Nein … Ich muss hierbleiben, ich kann nicht anders.«

Dolly ließ nicht locker. »Du könntest Alex doch einen Brief hierlassen, dann könnte er nachkommen, falls er tatsächlich mit einem der nächsten Schiffe kommt. Lass dir ein wenig den Wind um die Nase wehen, Clarissa!«

»Vielleicht komme ich im Frühjahr nach«, sagte Clarissa. Sie hatte großen Respekt vor ihrer Freundin und bewunderte sie dafür, wie schnell sie den gewaltsamen Tod ihres Mannes verarbeitet hatte und schon jetzt bereit war, ein neues Leben zu beginnen. Vor wenigen Monaten hatte Clarissa sie noch unterstützt und ihr Mut zugesprochen, und inzwischen war es schon so weit, dass Dolly ihr Trost zusprach. »Mach dir keine Sorgen um mich, Dolly.«

Mit Dolly verschwand auch Fitz. Nur wenige Tage, nachdem sie aufgebrochen war, machte sich der alte Goldsucher klammheimlich aus dem Staub, ohne sich zu verabschieden und anscheinend eine Spur zu hinterlassen. »Das bin ich schon von ihm gewöhnt«, sagte Mrs Buchanan, »er ist eben ein Raubein. Ich weiß schon, warum ich meinen Joe und nicht ihn geheiratet habe.« Doch als am nächsten Morgen ein Bote mit einem winzigen Päckchen erschien, und sie einen funkelnden Ring auspackte, weinte sie vor Rührung und zum ersten Mal, seit Clarissa sie kannte. »Ich war zu feige, dich zu fragen«, stand auf dem kurzen Brief, der dabei lag, »aber wenn ich wieder in Skaguay bin, und das wird nächstes Jahr der Fall sein, werden wir heiraten.«

Und weil inzwischen auch Sam Ralston die Stadt verlassen hatte, ebenfalls ohne sich zu verabschieden und wahrscheinlich zu feige, ihr nach seiner Partnerschaft mit Soapy Smith wieder unter die Augen zu treten, fühlte sie sich plötzlich noch einsamer und verlorener in Skaguay und dachte so manche Nacht über Dollys Angebot nach. Doch jeden Morgen, wenn sie aufwachte, verwarf sie den Gedanken wieder, fühlte sie sich wieder stark genug, um einen weiteren Tag zu überstehen und die Hoffnung zu nähren, Alex könnte mit dem nächsten Schiff kommen, und alles wäre wieder wie früher, als sie Frank Whittler schon beinahe vergessen hatten, und ein neues Leben vor ihnen lag.

Im Oktober kündigte sich der Winter mit den ersten Schneestürmen an. Eisiger Wind blies von den Pässen herunter und trieb die Menschen in ihre Häuser und Zelte. Innerhalb weniger Stunden lag eine dichte Schneedecke über der Stadt, begrub den Schlamm und den Abfall unter sich und ließ sie unnatürlich sauber und friedlich aussehen, als wäre Skaguay ein verwunschenes Dorf aus einem fantastischen Märchen. Der Winter erstickte alles Leben, die Flüsse und Seen froren zu, der Trail war nur noch mit einem Hundeschlitten passierbar, und die Goldsucher, die erst vor wenigen Tagen gekommen waren, zogen es vor, sich eine Bleibe zu suchen und auf das Frühjahr zu warten. Wenn sie nicht genug Geld besaßen oder es nicht schafften, sich in einem Zelt häuslich einzurichten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf eines der wenigen Schiffe zu warten, das im Winter anlegte, und in ihre Heimat zurückzukehren. Die meisten verloren beim Anblick der bedrohlich aufragenden Gletscher und des verschneiten White Pass sowieso den Mut.

Das einzige Schiff, das in der letzten Oktoberwoche in der Bucht den Anker warf, war die Bristol, und ungeachtet des eiskalten Winterwetters stand auch Clarissa wieder am Hafen und wartete darauf, dass Alex in einem der wenigen Boote, die Passagiere abholten, an Land ging. Bis auf einige Händler und Geschäftsleute, die in der Stadt zu tun hatten, war niemand zu sehen. Seitdem Soapy Smith unter der Erde lag, war die Stadt zu einer geschäftigen Metropole herangewachsen, die angeblich schon beinahe so groß wie Vancouver war, obwohl Clarissa das kaum glauben konnte, und die Goldsucher waren bereits in der Minderheit. Es gab Banken, Kaufhäuser, Restaurants, zwei Zeitungen, etliche Saloons, aber auch Kirchen, und am oberen Broadway hatte sogar ein Fotograf sein Domizil aufgeschlagen und bot seine Dienste an. Und in Dawson City am Klondike River sollte es noch großstädtischer zugehen.

Clarissa wollte sich schon abwenden, als sie einen mächtigen Burschen in einem Büffelfellmantel aus einem der Boote steigen sah. Wie ein Bösewicht aus ihren Buffalo-Bill-Heften sah er aus, kräftig gebaut und mit breiten Schultern, mit halblangen schwarzen Haaren unter einer Fellmütze, wie sie manche Soldaten im Winter trugen. Zu seinem kriegerischen Gesamtbild passten auch sein grimmiges Gesicht mit den kalten Augen und das Gewehr, das er in einem Schuber aus Wildleder bei sich trug. Ein Halbindianer, nahm sie an, wahrscheinlich ein Jäger, der in den Bergen auf Wolfsjagd gehen wollte, oder ein ehemaliger Krieger, der in eines der Indianerdörfer im Norden weiterzog.

Der Mann war ihr unheimlich, nicht nur wegen seines bedrohlichen Aussehens. Als er über den Ufersand zur Hauptstraße hinaufstieg, klappte sie unwillkürlich den Kragen ihres Mantels nach oben und zog den Schal bis über ihre Nase. Eine automatische Geste für jemanden, der nicht erkannt werden wollte und gegenüber jedem Fremden misstrauisch sein musste. Seit Soapy Smith ihr angedroht hatte, sie Frank Whittler oder der Polizei auszuliefern, war sie wieder so nervös wie vor mehr als zwei Jahren, als sie im Zug aus Vancouver geflohen war, zumindest beim Anblick eines Fremden, der schon in seinem Büffelfellmantel und mit dem Gewehr so bedrohlich wirkte, dass auch andere Leute, die keine Angst zu haben brauchten, vor ihm zurückwichen. Wollte er sich die tausend Dollar verdienen, die Frank Whittler auf ihre Ergreifung ausgesetzt hatte? Ein Kopfgeldjäger, wie es sie sonst nur in Romanen gab? Oder war er gar ein Polizist der North West Mounted Police?

Sie senkte den Kopf, als er an ihr vorbeiging. Der Mann roch nach einem starken Tabak und fettem Essen. Sie sah ihm vorsichtig nach und beobachtete, wie er die Straße überquerte und an die Tür von Mrs Buchanan’s Boarding House klopfte. Sie erstarrte vor Angst, jetzt war sie beinahe sicher, dass er ihretwegen gekommen war. Aber woher sollte er wissen, dass sie bei Mrs Buchanan wohnte? Hatte Soapy Smith sein Versprechen, sie nicht zu verraten, schon vor dem Abendessen im Flagler’s gebrochen? Hatte er sie auf jeden Fall verraten wollen?

So unauffällig wie möglich zog sie sich unter das Vorbaudach eines Gehsteigs zurück. Aus ihrer Deckung beobachtete sie, wie Mrs Buchanan die Tür öffnete und die Nase rümpfte, als sie den Geruch des Fremden in die Nase bekam. Er fragte etwas, und sie schüttelte den Kopf, antwortete ihm und deutete die Straße hinauf. Der Mann blieb misstrauisch, und Mrs Buchanan antwortete ihm noch einmal und zog die Haustür auf, anscheinend um ihm zu beweisen, dass niemand außer ihr im Haus war. Sie zuckte die Achseln und blieb noch eine Weile in der offenen Tür stehen, nachdem er sich wortlos von ihr verabschiedet hatte und sichtlich schlechter Laune die Straße hinauflief.

Clarissa wartete geduldig, bis er in einem der Saloons verschwunden war und sich anscheinend erst mal aufwärmen wollte, bis er weiter nach ihr suchte. Denn dass er sich ihretwegen in Skaguay aufhielt, war ihr inzwischen klar. Frank Whittler war die Reise wohl zu anstrengend gewesen. Ihm waren die tausend Dollar, die er für ihre Ergreifung bezahlen musste, sicher egal, und seine Rache konnte er immer noch auskosten, wenn sie in Vancouver war.

Die Angst, die sie schon in Port Essington zum überstürzten Aufbruch getrieben hatte, ergriff auch jetzt von ihr Besitz und trieb sie zu äußerster Eile an. Mit dem Geld, das dem Sohn eines mehrfachen Millionärs zur Verfügung stand, hatte Frank Whittler sicher einen der besten Jäger des Landes verpflichtet. Einen erfahrenen Mann, der jede Spur lesen konnte, vielleicht noch besser als Alex, und der bereit war, für Geld alles zu versuchen.

Sie lief zur Pension zurück und traf die Wirtin in ihrem Zimmer. Sie hatte bereits ihre Winterkleidung aufs Bett gelegt, die Baumwollhose, die dicke Felljacke, die Stiefel, und war gerade dabei, ihre restlichen Kleider in einen alten Rucksack zu stopfen. »Du musst hier weg!«, sagte sie, als Clarissa in der Tür erschien. »Der Mann im Büffelfellmantel hat nach dir gefragt. Er klang nicht besonders freundlich. Ich hab ihm gesagt, dass du nach Dyea gezogen bist und dort in einem Hotel wohnst. Keine Ahnung, ob er mir geglaubt hat.«

»Ich hab euch gesehen«, erwiderte Clarissa.

Mrs Buchanan deutete auf die Winterkleidung. »Zieh deine alten Kleider an, darin erkennt man dich nicht so schnell. Er ist gefährlich. Am besten fährst du mit der Bristol nach Sitka oder Juneau zurück und versteckst dich dort. Da vermutet er dich bestimmt nicht. Ich nehme an, er ist ein Kopfgeldjäger oder so was Ähnliches. Einer, der Geld dafür bekommt, wenn er dich nach Vancouver zurückbringt. Und wenn es einen Auslieferungsbefehl gibt …«

»Ich gehe über den Pass«, unterbrach Clarissa sie. »Ich gehe zu Dolly nach Dawson City. Sag Alex, dass ich dort auf ihn warte. Ich bin sicher, er kommt im Frühjahr. Er ist wahrscheinlich verletzt und überwintert bei den Indianern, so wie ich vor zwei Jahren. Sag ihm … Sag ihm, dass ich ihn über alles liebe.«

»Aber … Es ist Winter! Der Yukon ist zugeforen!«

»Ich heuere einen der Indianer mit einem Hundeschlitten an«, erklärte Clarissa. »Zur Not wechsele ich mich mit ihm ab. Ich weiß, wie man einen Schlitten steuert. Ich bin mit einem Fallensteller verheiratet, vergiss das nicht. Wir brauchen wahrscheinlich nicht so lange wie die Leute in den Booten.«

»Aber der Pass … Der Trail ist gefährlich! Weißt du, wie viele Pferde auf dem Weg zum Pass verendet sind? Die kann man kaum noch zählen. ›Dead Horse Trail‹ nennen sie den Trail. Und du willst im Winter zum Pass hinauf?«

»Ich muss, Buchanan. Ich muss.«

Clarissa zog sich in Windeseile um und stopfte auch das Buffalo-Bill-Magazin, das auf ihrem Nachttisch lag, in den Rucksack. Sie kannte die meisten Geschichten zwar schon auswendig, aber es würde wohl noch einige Zeit dauern, bis sie wieder etwas zu lesen in die Hand bekam. Den Revolver verstaute sie in ihrer Jackentasche. Sie besaß nur die fünf Patronen, die in der Trommel steckten, hoffte jedoch wie immer, gar keine brauchen zu müssen. Mrs Buchanan packte ausreichenden Proviant für ein paar Tage in einen Beutel und füllte heißen Tee in eine Feldflasche. Innerhalb weniger Minuten war sie reisefertig. Den Rucksack, den ein Goldsucher in der Pension zurückgelassen hatte, trug sie auf dem Rücken. Ihre Reisetasche ließ sie bei Mrs Buchanan.

»Pass gut auf dich auf!«, wünschte ihr die Wirtin, bevor sie die Tür öffnete. »Ich sorge dafür, dass der Fremde nicht rausbekommt, wo du steckst.« Sie umarmten sich liebevoll. »Und melde dich, wenn du in Dawson City bist!«

»Auf Wiedersehen, Buchanan. Und vielen, vielen Dank für alles! Vielleicht habe ich nächstes Jahr schon alles überstanden und komme zu deiner Hochzeit, was meinst du? Dolly und ich könnten deine Trauzeuginnen sein …«

»Das wäre wundervoll, Clarissa! Und jetzt geh endlich!«

Clarissa trat in die Kälte hinaus. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und böiger Wind trieb ihr dichte Flocken entgegen. Eine dicke Schneedecke lag über dem gefrorenen Schlamm des Broadways, der auch im Winter und trotz der vielen neuen Läden eher wie eine gewöhnliche Hauptstraße wirkte. Selbst die Häuser auf der anderen Straßenseite waren in dem Schneetreiben nur als dunkle Schatten zu erkennen, und die Gletscher und der steile Trail zum White Pass lagen hinter milchigem Dunst verborgen. Das Heulen von ein paar Huskys und das rhythmische Hämmern aus der nahen Schmiede waren die einzigen Geräusche in der ungewohnten Stille. Außer ihr waren nur Goldsucher unterwegs, die aber gleich darauf in einem Saloon verschwanden.

Aus Angst, von dem Fremden beobachtet und schon nach wenigen Schritten aufgehalten zu werden, blieb sie im Schatten der überdachten Gehsteige. Leicht geduckt, als fürchtete sie, von irgendetwas getroffen zu werden, folgte sie der Straße, bog in die erste Seitengasse ab und ging hinter den Häusern weiter, bis sie den Saloon, in dem der Fremde abgestiegen war, weit hinter sich gelassen hatte. Ihre Mütze hatte sie gegen den Schnee weit in die Stirn gezogen, und so wanderte sie durch den Schnee, aus der Stadt und weiter nach Norden.

Bis zu der Zeltstadt, in der zahlreiche Indianer und Goldsucher den Winter verbrachten, waren es mehrere Meilen. Ein Gewaltmarsch, wie sie schon bald feststellte, weil der Trail schon hier steil bergauf führte, und sich der Schnee außerhalb der Stadt bereits in tiefen Wehen angehäuft hatte. Bei jedem Schritt sank sie tief in den Schnee, und sie merkte schon nach ein paar Schritten, dass sie ohne Schneeschuhe nicht weiterkam. In der Eile hatte sie nicht daran, gedacht, die Wirtin nach Schneeschuhen zu fragen oder welche zu besorgen.

Zum Umkehren war es zu spät. In Skaguay wäre die Gefahr, dem Fremden doch noch in die Arme zu laufen, viel zu groß gewesen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als weite Umwege in Kauf zu nehmen, um die Schneewehen zu umgehen und darauf zu hoffen, dass der Trail weiter nördlich fester und griffiger war. Sie hatte Glück. Nach ungefähr einer Meile, für die sie über zwei Stunden gebraucht hatte, führte der Trail durch eine weite Senke, in der sich der eisige Wind nach Herzenslust austoben konnte, und der vereiste Boden einen festen Untergrund bot. Lästig war nur der kräftige Wind, gegen den sie sich mit aller Macht stemmen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Schon jetzt wurde ihr bewusst, auf welches Wagnis sie sich eingelassen hatte. Selbst wenn sie einen indianischen Führer fand, der bereit war, mit ihr zum Klondike zu fahren, war noch lange nicht sicher, ob sie es bis zu den Goldfeldern schaffen würde. Weniger die Gefahren der Wildnis schreckten sie, die war sie gewöhnt, es war eher die Grenze zwischen dem amerikanischen Territorium und dem kanadischen Yukon-Gebiet, die ihr zu schaffen machte. Sie besaß weder die verlangten Vorräte noch die Ausrüstung, die von allen Personen gefordert wurde, die zum Klondike zogen, und bei den Mounties bestand zusätzlich die Gefahr, dass es einen Steckbrief oder eine Suchmeldung von ihr gab, und sie einer der Polizisten erkannte und festnahm. Die North West Mounted Police war für ihr strenges Vorgehen bekannt und hatte schon so manchen Verdächtigen festgenommen oder zurückgeschickt.

Es gibt keinen anderen Weg, sagte sie sich, ohne ihre Schritte zu verlangsamen, ich muss es versuchen. Denn wenn ich umkehre, erwartet mich der Fremde im Büffelfellmantel, und wenn ich ein Schiff nach Süden nehme, laufe ich Frank Whittler oder einem anderen seiner Spürhunde in die Arme.

»Weiter!«, feuerte sie sich selbst an. »Nur nicht aufgeben!«